Mein Name ist Hannes Wolf, ich bin Citymanager in Jena und Mitarbeiter des Vereins Initiative Innenstadt Jena. Während der Corona-Krise waren und sind unser Verein und vor allem unsere Mitglieder stark gefordert. Mit Einsatz und Ideen versuchen wir die Krise zu überdauern und das Beste daraus zu machen. Ein Projekt, was in dieser Zeit entstanden ist, war der Aufbau einer semiindustrielle Maskenproduktion:

Es ist Mitte März und das Corona-Virus kommt langsam aber sicher im Bewusstsein der Menschen auch bei uns in Jena an. Nervöse Mitarbeiter der Stadtverwaltung treffen sich mit Vorstandsmitgliedern der Initiative Innenstadt und berichten, dass demnächst die Gastronomie und Hotellerie zumachen muss. Am nächsten Tag gibt es die Allgemeinverfügung dazu. Vier Tage später müssen auch die Geschäfte schließen.

Regierung und Virologen sprechen von 100.000en bis 1.000.000 Toten in Deutschland. Zum Glück kommt es (bisher) nicht so weit.

Von Nasen-Mund-Masken oder gar einer Maskenpflicht war Mitte März noch keinerlei Rede. Mittlerweile kennt sich jeder mit den Schutzklassen und dem Unterschied zwischen einer FFP2-Maske und einer Alltagsmaske aus. Trotzdem gab es schon Mitte März Bedarfe an provisorischen Masken. Vor allem im Pflegebereich und in medizinischen Einrichtungen. Dort waren keine bzw. zu wenig professionelle Masken verfügbar. Petra Wagner, mit ihrem Unternehmen prowandel Mitglied bei der Initiative Innenstadt, berichtete mir von diesem Bedarf. Sie wurde von einer befreundeten Ärztin darauf angesprochen. Ich bin kein Näher und habe keine Nähmaschine, aber ich bin Netzwerker. Zwei andere Mitglieder der Initiative Innenstadt, das wusste ich, sind da Experten, nämlich Vanessa König vom Café und Stoffladen Kabuff und Katja Stimmer von Fräulein Meier – Fachgeschäft. Mit den beiden hat Petra Kontakt aufgenommen und ich dachte, fein, das hat sich erledigt, dann kamen aber dummerweise alle drei zurück zu mir. Wir könnten doch ein Projekt stricken bzw. nähen. Nämlich die Produktion von Nasen-Mund-Masken in relevanten Mengen und diese dann dorthin spenden, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Endet der Text hier, hat mich jemand nein sagen hören? Ich denke nicht.

Gemeinsam haben wir den Vorstand der Initiative Innenstadt Jena e.V. überredet, 2.000 € zur Startfinanzierung in das Projekt zu stecken und mussten dann noch einen gemeinnützigen Verein suchen, weil wir kein solcher sind und damit keine Spenden annehmen können. Den haben wir auf holprigen Wegen zum Glück irgendwann gefunden. Da hatten wir aber auch schon angefangen zu produzieren. Dankenswerterweise ist nach Vermittlung von Benjamin Spieler der Lions Club Jena Johann Friedrich (benannt nach unserem Hanfried) in die Bresche gesprungen.

Wie gesagt lief die Produktion da bereits. Vanessa ist mit ihrem Unternehmen in Vorleistung gegangen und hat wahnsinnige Mengen Material bestellt, ohne dass es eine Finanzierung gab. Katja hat dutzende NäherInnen, mit durch Corona freigewordenen Kapazitäten, aus ihrem „Bastel“-Netzwerk generiert, die mit ihrer Arbeit ebenfalls in Vorleistung gegangen sind.

Wir hatten uns vorgenommen 10.800 Masken zu produzieren, die durch Spenden zu finanzieren und dann an Organisationen zu verschenken. Das wäre ungefähr ein Zehntel der Stadtbevölkerung gewesen und in Handarbeit mit viel Blut, Schweiß und Tränen irgendwie zu bewältigen. Mit den Spendeneinnahmen sollte das Material bezahlt werden und wir wollten die NäherInnen mit einer Aufwandspauschale ausstatten.

Nach unserer Kalkulation brauchten wir dafür knapp 65.000 €. 2.000 € hatten wir schon. Fehlte nur noch der „Rest“.

Mitten in diese Finanzierungsproblematik kam dann die Jenaer Maskenpflicht, die sich später in ganz Deutschland ausbreitete. Wir waren nicht so glücklich darüber, weil plötzlich alle (Jenaer) Welt von uns Masken haben wollte. Die Leute sind mir auf der Straße hinterher gerannt. Ich hätte einen Bauchladen aufmachen können. Außerdem wurden die bis dahin ohne Aufträge vor sich hin leidenden NäherInnen natürlich mit Anfragen überrannt. Das Projekt stand ziemlich auf der Kippe.

Im Kontext der Maskenpflicht war auch ein sehr starkes mediales Interesse an unserer Maskenproduktion zu verzeichnen. Hier gab es aber fast immer eine Vermischung unseres Projektes mit der Allgemeinverfügung. Es gab zahlreiche Berichte immer nach dem gleichen Schema. OB spricht über Maskenpflicht – Bild dazu von uns: NäherInnen nähen Masken. Wir wurden von JenaTV, MDR, ARD, ZDF, RTL und dem dänischen Fernsehen interviewt. Außerdem waren wir in vielen Online- und Printmedien und aufgepasst: in der Super Illu! Alle Beteiligten sind nun sehr kameraerfahren und redegewandt und warten auf Angebote aus Hollywood oder Bollywood.

Zwischenzeitlich hatten wir die Finanzierung auf die Beine gestellt. Dazu hatten wir eine Crowdfundingaktion gestartet und Spenden auch direkt über die Lions gesammelt. Auch die Stadt hat ihr Geldsäckel für uns geöffnet. Bei der Crowdfundingkampagne kam gleich zu Beginn ordentlich Geld zusammen, so dass die Finanzierungssorgen schrumpften.

In der Hochzeit haben wir über 500 Masken täglich produziert, geheiratet hat aber niemand. Die Verteilung lief über Petra, die Arztpraxen, Pflegeeinrichtungen, Kitas, Ehrenamtliche, Hebammen usw. beliefert hat. Eine große Menge Masken ging an die Bürgerstiftung, die von sich aus weiter verteilt hat.

Am 20. April 2020 haben wir die Produktion abgeschlossen. Das Ziel der 10.800 Masken haben wir nicht erreicht, weil uns die Maskenpflicht überrollt hat und wir nicht so schnell produzieren konnten, wie es Bedarf gab. Viele professionelle Unternehmen hatten zwischenzeitlich auf Maskenproduktion umgestellt und unser rein handwerkliches Produkt ist damit natürlich ein stückweit in den Hintergrund getreten.

Wir hatten in 26 Tagen 9.000 Nasen-Mund-Masken standardisiert in Handarbeit gefertigt. 50 NäherInnen waren beteiligt und haben 450 Meter Stoff, 19,5 Kilometer (!) Schrägband, 9.000 Pfeifenreiniger und 100 Liter Schweiß und Tränen verarbeitet

87 Organisationen konnten beliefert werden. 299 Personen/Institutionen unterstützen das Projekt. 54.763 € konnten als Spenden und Einnahmen eingesammelt werden.

Aus dem Solidarprojekt ist mittlerweile ein kommerzielles Projekt geworden, was den liebevoll, aus tollen Stoffen hergestellten Masken natürlich sehr entgegen kommt. Sie werden nun nicht mehr verschenkt, sondern nach gestalterischen Gesichtspunkten von Unternehmen im CI bestellt oder von Einzelpersonen nach Fashiongesichtspunkten gekauft.

Mein großer Dank gilt allen Beteiligten: Petra Wagner für die Idee und die Tatkraft. Vanessa König für Infrastruktur und Material und ihre Risikobereitschaft. Katja Stimmer für ihre sozialen und handwerklichen Skills, allen NäherInnen, den Lions, der Stadt und allen SpenderInnen.

von
Hannes Wolf

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