Risikogruppe. Das klingt auch für mich immer noch sehr abstrakt, obwohl ich seit Februar 2019 dazu gehöre. Damals – ist gefühlt ein halbes Leben her – wurde bei mir eine akute Form der Leukämie diagnostiziert. Was mich als Angehöriger der Risikogruppe ausmacht ist die Behandlung, sie geht einher mit einer Schwächung des Immunsystems. Jede Chemotherapie bringt das Immunsystem nahe Null – die Infektionsgefahr ist in der ersten Zeit danach sehr groß. Noch bleiben aber Antikörper und sonstige erlernte Strategien des Immunsystems erhalten. Nur werden die benötigten Zellen, die die Immunabwehr bilden bei jeder Chemo vernichtet. Auf Zeit war ich also sehr gefährdet (und habe mir mehrere Infekte eingefangen).

Die Hilfe und Lösung für meine Krankheit ist eine Stammzelltransplantation von einem Fremdspender. Dies heißt aber auch, dass mein eigenes, trainiertes Immunsystem zerstört wird und ich mit den neuen Stammzellen ein neues Aufbauen muss. Um es kurz zu machen: Ich habe zwei Stammzelltransplantationen bekommen, eine im Juni 2019 und eine im März 2020. Ja, genau, zum Start des ersten Lockdowns.

Aber fangen wir vorher an. Vor Corona. Vieles, das durch Corona für alle von uns zum Normalfall wurde konnte ich schon im Laufe des Jahres 2019 kennenlernen und mich daran gewöhnen.

Das Maske Tragen zum Beispiel. Da es auf der Onkologischen / Hämatologischen Station aufgrund der Chemotherapien viele Immungeschwächte Patienten gibt, tragen dort alle Mitarbeitet*innen (sowohl von der Pflege, vom Ärzteteam, als auch alle anderen) aber auch alle Besucher immer einen Mund- Nasenschutz, wenn sie das Zimmer betreten. Das gleiche galt und gilt für die Patienten, sobald sie das eigene Zimmer verlassen.

Oder das Abstand halten. Es ist schon alleine eine gewisse Separierung, wenn man insgesamt über mehrere Monate hinweg im Krankenhaus verbringt. Wenn dies dann in der nächsten größeren Stadt ist (Uniklinik) und nicht das örtliche Krankenhaus ist, trifft das um so mehr zu. Allein die Distanz hat einen Einfluss darauf wie viele Personen man sieht bzw. wer wie oft zu Besuch kommt. Dazu kommt dass es Personen gibt, die ungern in ein Krankenhaus gehen. Ebenso ist die Auseinandersetzung mit schwerer Krankheit für einige ein Hindernisgrund für Besuche, denn man wird da zwangsläufig konfrontiert. Ich hatte das Glück, dass ich viel Besuch bekam und über diverse Wege meine Familie, Freunde und Bekannte Kontakt gehalten haben.

Aber es ist doch etwas anderes. Man sieht weniger Menschen, die Treffen sind recht steril, entweder im Krankenzimmer mit mindestens einem weiteren Mitpatienten oder im Aufenthaltsbereich der Station. Die Treffen sind zwangsläufig weniger herzlich (bis auf engste Familienangehörige verzichtet man lieber auf Umarmungen – also vor Corona, danach sowiso) und aufgrund der immer vorhandenen Zuhörer ist das Gespräch nicht so frei und tief wie es in geschützterem Rahmen möglich wäre.

Hilft es, dass ich durch meine Vorgeschichte schon Erfahrung sammeln konnte? Wie so oft lautet die Antwort: Jein! Für mich selbst und die Gewohnheit (z.B. beim Maske Tragen) hat es etwas geholfen. Was das Umfeld angeht allerdings nicht. Maske und Abstand war ich in meinem (Ausnahme-) Fall gewohnt. Aber der Rest um mich herum hatte das alles nicht. Die Änderung für alle, darauf war ich nicht vorbereitet.

Letztendlich gehen die Einschränkungen über das hinaus, was ich schon erleben und einüben konnte. Die Schließung der Gastronomie, von Kinos, das eingeschränkte Reisen usw. sind Maßnahmen auf die man sich nicht vorbereiten konnte.

Zusammenfassend kann ich sagen, manches war für mich nicht neu, aber die Gesamtheit der Maßnahmen war auch für mich neu.

Praktisch gab es aber auch neue Auswirkungen auf mich. Das betrifft vor allem das Besuchsverbot, das mich ab der zweiten Stammzelltransplantation getroffen hat. Am Tag der Transplantation konnte noch meine Mutter im Zimmer dabei sein (mein Vater als Spender war noch in einem anderen Krankenhaus), aber schon am Tag danach durfte kein Besuch mehr ins Zimmer. Ein paar Tage konnte man sich noch durch ein Fenster in der Türe sehen aber auch das war irgendwann nicht mehr möglich. Das ist schon hart. Ich war aus Infektionsschutzgründen allein in einem Zimmer. Kontakt per Telefon, Nachrichten und Video halfen weiter, aber sie ersetzen einen Kontakt nur ungenügend.

Mir hat in der Situation geholfen, dass ich das ganze schon einmal durchgemacht hatte und ungefähr wusste, was auf mich zukommt. Andere hatten da mehr mit der Situation und dem allein sein zu kämpfen gehabt.

Alles in allem muss ich sagen, ich halte die meisten Maßnahmen für wichtig und richtig. An den Grundlagen Abstand, Hygiene und (Alltags-) Masken gibt es aus meiner Sicht nichts zu rütteln, das sind bewährte Maßnahmen. Wie das im Detail umgesetzt wird darüber kann man sicher diskutieren. Hier ist vieles Abwägungssache und es müssen wohl immer irgendwo Grenzwerte definiert werden. Hier gibt es immer Angriffspunkte und glücklicherweise werden die getroffenen Entscheidungen hinterfragt und es gibt Instanzen die ein Auge drauf haben und ggf. vorhandene Ungerechtigkeiten prüfen und Regelungen wenn nötig kippen.

Das ganze ist ein sehr umfangreiches Thema. Ich habe hier erst mal einen Überblick gegeben. Ich wollte das ganze nicht zu sehr ausdehnen. Evtl. führe ich einzelne Punkte noch einmal tiefer aus.

von
Florian

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