Blicke ich auf diese Zeit zurück, spüre ich in erster Linie Dankbarkeit. Das klingt paradox. Als Rentner habe ich während der Corona-Zeit  keine Existenzsorgen. Aber dafür nagt der Zahn der Zeit an der Gesundheit. Ich empfinde trotzdem Dankbarkeit, weil ich diese Zeit so herrlich in der Natur verbringen kann, fast täglich. Mir helfen dabei meine ziemlich strapazierbaren Füße, mein Auto und meine Neugier. Die Wälder in und um Gera bieten dazu vielfältig Gelegenheit.

Eines Tages starte ich in Pohlitz bei Bad Köstritz. Ein Bach führt mich leicht bergan in einen Wald. Es gibt 2 Möglichkeiten, einem Wanderweg zu folgen, rechts oder links steil bergan. Ich wähle den rechten, ahnungslos wo er mich hinführen wird. In dem anheimelnd rauschenden Wald höre ich nur meine gedämpften Schritte. Einsamkeit umgibt mich wie fast immer. Wie in einem Wundermärchen kommt mir eine Frau entgegen, kleiner und jünger als ich, mit einem Henkelkorb Ala Rotkäppchen am Arm. Mit meiner Frage: „Entschuldigung, sagen Sie mir bitte, wohin dieser Weg führt“, löse ich etwas aus, das so beginnt. „Nach Steinbrücken. Wie ich sehe, sind Sie allein unterwegs. Um Kräuter zu suchen, bin auch ich immer allein. Das hier sind die Brennnesseln, die ich am Ende dieses Berges gefunden habe.“ „Brennnesseln. Die suche ich auch brennend. Haben Sie noch ein paar stehen lassen?“ „Die konnte ich gar nicht alle mitnehmen.“  Wir reden und reden, weil wir immer mehr sonderbare Gemeinsamkeiten an uns entdecken:

Wir waren beide Grundschullehrerinnen, sie in meiner Nachbarschule in Lusan, später dann in der Förderschule, in der auch ich unterrichtete, woran wir uns noch dunkel erinnern können. Bevor sie Rentnerin wurde, betreute sie mit Hingabe eine verhaltensgestörte Klasse. Aus jedem ihrer Sätze höre ich ein wohltuendes Engagement zu den Kindern heraus. Sie schreibt an einem Buch über ihren besonders reichen, außergewöhnlichen Erfahrungsschatz. Vielleicht könnte ich sie dabei unterstützen, meint sie. Zum Schluss erklärt sie mir noch, wo die Statue von Goethe zu finden ist. Und die finde ich endlich! Hier in Pohlitz ging am 13. Oktober 1819 ein Meteorit nieder. Goethe hält stolz den ganzen Meteorit in der Hand, obwohl er nur kleine Splitter davon abbekam.

Bei jeder Tasse Brennnesseltee denke ich an Frau Meyer, deren Namen ich mir gemerkt habe. Ich finde sie sogar im Telefonbuch. Schon der erste Versuch gelingt. Und jedes Telefongespräch ist erstaunlich, weil wir noch mehr Gemeinsamkeiten entdecken, die wir Faden um Faden aufspulen: Z. B. die Liebe zur Natur. Sie geht wie ich gern „Waldbaden“, um das neumodische Wort zu gebrauchen.

Wie ein Wunder hören sich unsere musikalischen Bindeglieder an: Wir spielen beide Blockflöte, lernten bei der gleichen Lehrerin und spielen bzw. spielten im Blockflötenensemble der Musikschule zu unterschiedlichen Zeiten. Und – unglaublich – sie war die Lehrerin meiner Flötenschülerin Dana, die ich unterrichtete, damit sie als Neue mit den anderen Schülern der Klasse mitspielen konnte. Diese Entdeckungen verbinden uns immer mehr. Wir werden uns wieder treffen, sobald die Türkenbundlilien blühen. Und wer weiß, vielleicht kann ich ihr doch ein wenig bei der Gestaltung ihres Buches helfen.

Wie wunderbar mir das Leben mitspielt: Ich frage nach einem Weg und bekomme eine Freundschaft geschenkt.

 

von
Helga Zauft

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