Ich wollte die Via Regia gehen, das hatte ich mir schon länger vorgenommen. Dieses Jahr sollte es nun klappen, von Görlitz bis Vacha, unbedingt. Im vergangenen Jahr kam mir etliches dazwischen und wurde immer wieder verschoben. Ich war nun schon im zweiten Jahr im Ruhestand. Vom Pilgerbüro in Weimar hatte ich mir den Pilgerausweis schicken lassen. Dabei war ein Büchlein über den Wegeverlauf mit Adressen und Telefon-Nr. von Übernachtungsmöglichkeiten und die Entfernungen wurden angegeben. Ich war frohen Mutes, nun wird es was. Zu Ostern sollte es losgehen und für den Weg von Görlitz bis Erfurt wollte ich mir 14 Tage geben. Nach Görlitz wollte ich mit dem Zug fahren, 3 Tage mir die Stadt anschauen und dann meinen Pilgerweg beginnen.

Dann kam Corona und meine Pläne waren dahin. Das Wetter war schön und ich war zu Hause. Ich verfolgte immer die steigenden Zahlen der Infizierten und gerade in Sachsen waren diese sehr hoch.

Alles was ich machen konnte, war Einkaufen gehen in den nächstmöglichen Einkaufsmarkt und in der näheren Umgebung Spazierengehen. Alles andere war nicht mehr möglich.

So ging ich fast jeden zweiten Tag zum Hauptfriedhof, um dort die Gräber meiner Eltern und das Grab meines Mannes zu pflegen. Mein Weg zum Friedhof führt durch eine Gartenanlage. In einem der Gärten steht eine Vogelvoliere mit Wellensittichen. Immer wenn ich dort vorbeikam, blieb ich stehen und schaute den lustigen Vögelchen zu. Einmal war der Besitzer dabei und wir kamen ins Gespräch. Es endete damit, dass ich mir einen kleinen Wellensittich kaufen wollte. Da ich noch im Keller verpackt einen Vogelkäfig hatte, verabredeten wir uns für den nächsten Tag.

Ich suchte mir ein grün/gelbes Vögelchen aus. Seine Nasenhaut war blau, somit nannte ich ihn Benno. Es war ein ganz liebes Kerlchen, der lustig im Käfig rum-turnte, nur raus durfte er noch nicht. Abends gegen 20.00 Uhr setzte er sich auf die Schaukel, das war für mich der Hinweis, Nachtruhe. Ich deckte den Käfig ab und hörte bis zum Morgen nix vom Piepmatz. Ich unterhielt mich viel mit ihm und schon nach einer Woche konnte ich ihn streicheln und nach zwei Wochen kam er auf meinen Finger, wenn ich diesen in den Käfig hielt. Nun öffnete ich das Türchen und ließ Benno im Zimmer fliegen.

Ich habe mich schnell an ihn gewöhnt und meine Corona-Zuhausebleibzeit war nicht einsam für mich bis zu dem einen Sonntag. Leider drückte ich morgens beim Füttern das Türchen vom Käfig nicht fest zu, sondern lehnte es nur an. Als ich am Nachmittag den Geschirrspüler nach Spülvorgang öffnete und den entweichenden Dampf durch ankippen des Fensters rauslassen wollte, dachte ich nicht mehr an die Käfigtür. Ich saß im Wohnzimmer, der Vogelkäfig stand in der Küche. Benno zwitscherte vergnügt, weil er wohl die Vögel draußen hörte bis es plötzlich still war. Ich schaute nach und bemerkte das etwas aufstehende Türchen und das gekippte Fenster.

Benno war weg.

von
Brigitte Trümper

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